Aus den Kirchenbüchern von Hartum (II): Mutter Cord Bredemeyers noch 1707 als Zauberin hingerichtet - Festgefügte evangelische Gemeinden, aber auch preußische Soldaten, Papisten und Juden

Weniger als ein Dutzend Generationen trennen uns vom 17. Jahrhundert – und wie fremd erscheint uns die Welt, die vor unseren Augen ersteht, wenn wir die Eintragungen der Pfarrer in den Kirchenbüchern – hier von Hartum – auswerten. Noch im Jahre 1707 wurde die Mutter von Cord Bredemeyer hingerichtet, weil sie angeblich eine Zauberin war. Und wie arm die Leute waren, so dass Christoph Schlottmann im Jahre 1740 verhungerte und es immer wieder zu Armenbegräbnissen kam, weil es keine Angehörigen gab oder diese die Begräbniskosten nicht bezahlen konnten.

 

Leineweber Grote starb 1678 mit 80 Jahren, aber das war ein biblisches Alter, das nur wenige erreichten. Unfälle scheint es häufig gegeben haben und nicht selten starb man an den Folgen, weil das Gesundheitssystem im Vergleich zu heute so wenig entwickelt war und sich viele Menschen keinen Arzt leisten konnten. Die biologische Geburt spielte in den Eintragungen der Pfarrer keine Rolle, wohl aber die Taufe und entsprechend die Konfirmation (und natürlich die Heirat und später die Gedächtnispredigt nach dem Tode).

Beruf und soziale Stellung waren fest miteinander verbunden und wurden in den Kirchenbüchern noch einmal dokumentiert.

Zu unehelichen Geburten kam es immer wieder, obgleich das für Mutter und Kind eine Schmach war, und auch das wurde dokumentiert. Das war weniger indiskret als man im 21. Jahrhundert meinen könnte, weil in den festgefügten Gemeinschaften sowieso alle Bescheid wussten. Die Armut oder die Furcht vor der Schande mag Mütter bewogen haben, ihr Frischgeborenes auszusetzen, und immerhin wurde dieses nicht nur getauft, sondern auch in einer Familie versorgt, was eventuell mit Mitteln der Kirche alimentiert wurde.

Hartum und Umfeld waren fest in protestantischen Händen, aber die preußische Regierung schickte Beamte und Soldaten, die sie nicht nach ihrer Konfession vorsortiert hatte. Auch gab es vereinzelt Leute, die „päpstlicher Religion“ waren, und mindestens einen Juden, der 1737 nach inhaltlicher Prüfung und mit einem Akt vor der gesamten Gemeinde – aus wirtschaftlichen Gründen oder aus solchen der sozialen Akzeptanz? – zum evangelischen Glauben konvertierte.

 

Im Folgenden Auszüge:

1671

Johan Philip, ein unehelich gezeugter Knabe aus Stadthagen, von sehl. Böschens Witwe einige Jahre aufgezogen – mit 12 Jahren am 3. Dezember begraben.

 

1673

Ein Trompeter unter des Fürsten von Anhalt Regiment, einquartiert in Spikers Lüdeken Haus
Tochter Ilse Sidonia, getauft am 22. Januar.

 

1678

Hans Daniell Grote, Leineweber, päpstlicher Religion, stirbt im biblischen Alter von 80 Jahren.

 

1708

Eberhardt Florentz – getauft am 16. Januar 1704 - „vom tollen Hund gebissen und durch diesen Biss infiziert worden und daran gestorben“ (begraben 6. Januar 1708).

 

1710

Ilsaben Bredemeier getauft am 21. Oktober 1678, verheiratet am 1. Mai 1710 mit Henrich Borcherding, begraben am 27. Oktober 1710.

Vater: Cord Bredemeyer, Dorfschäfer aus Friedewalde – seine Mutter zum Friedwald ist hernach als eine Zauberin zum Friedwald gerichtet“.

 

1711

Cathrina Lisebeth, getauft am 30. Mai 1688, begraben am 13. Dezember 1711.

„…auf Dinklagen Mühle von Heßen Sohn aus Nordhemmern unversehens mit einem Gewehr verwundet worden und den 3. Tag daran gestorben“.

 

1731

6. Juni – „Ein unbekannter Mann, seines Vorgebens aus Wittenberg, seiner Profession ein Kupferstecher, kommt krank von Osnabrück und stirbt in Rhoden Kruge, hatte nicht so viel bei sich, dass die Begräbniskosten erstanden werden konnten, daher ihn einige junge Burschen begraben lassen“.

 

1737

Ernst Adolff Christian, getauft am 26. Juni 1718, begraben am 17. Juli 1737.

Jude Jonas Itzig, nach Examina und Gebet getauft – „vor der ganzen Gemeinde getauft und demselben den Namen Adolff Christian beigelegt“.

 

1739

Anna Dorothe Elisabeth Mühms, Mutter aus Stemmer, unehelich, getauft am 11. Februar.

„Nackt und ungetauft, von Rothenuffeln in der Schürze hierhergetragen“.

Vater: Kalm, Cord Hinrich, Soldat in Minden.

 

1740

Christoff Henrich Schlottmann aus Rahden. Heuerling, „ein Armer“, mit 70 Jahren „von Hunger gestorben, umsonst begraben“.

 

1741

Marie Bredemeier aus Friedewalde, konfirmiert 1741.

 

1743

Otto Thomas Christian Hertzberg, Grobschmied, „aus Peina“.

„Ist in der Ernte, da er auf dem Felde gescherzt, ungefähr in seine Sense gelaufen, dass die Spitze ins rechte Oberbein gefahren. Die Wunde aber ist ihm sehr oft wieder aufgesprungen, dass er verblutet, und nachdem er 4 Wochen gelegen, ist zuletzt wieder die Ader aufgegangen, darin er den Rest seines Blutes samt dem Leben verloren“.

Beerdigt mit 40 Jahren am 8. September 1743 – verheiratet mit Anne Marie Ilsabein Kliedmeyer aus Hahlen am 3. Juli 1735 – zwei Kinder: Johann Friedrich Wilhelm getauft am 5. August 1736, und Johann Herm Hinrich, getauft am 31. Mai 1739.

 

1748

Johann Heinrich Brockmeyer, getauft am 6. August 1724, gestorben am 21. August 1748, zu Hemster bei Haarlem in Holland - Gedächtnispredigt am 4. September 1748.

 

1751

Jost Heinrich Rohlfing, getauft am 29. Dezember 1726, begraben am 23. Mai 1751.

„Ein armer Jüngling in Schlüthen Haus zu Hartum, den die Hartumschen Meiers als ein Waisenkind jeder je 8 Tage gespeist, war mit der fallenden Sucht behaftet, starb am achttägigen Schlagfluss“.

Johann Dierck Wiese (1716-1776) heiratet am 16. November 1749 in zweiter Ehe Christine Fincke.

„Weil er sich aber mit ihr nicht vertragen konnte, ist er durch eine Konsistorial-Order unter dem 3. September 1751 von ihr zu Minden geschieden“.

 

1752

Christian Friderich Gottlieb Schindeler, begraben am 9. April 1752 mit drei Jahren.

Vater Christoph Schindeler, Soldat „von der Leibkompanie in Minden“.

 

1756

„Ein Findling, so diesen Morgen früh vor Krögers Backhaus gefunden wurde“ – Johan Hinrich, getauft am 11. Juli – „Dieses Kind nahm Philip Uphofs Ehefrau in Hahlen zu sich und säugte es. Dafür wurde sie aus den Kirchenmitteln bezahlt“.

 

1758

Ernst Heinrich Wiese, getauft am 11. Januar 1722, im Lazarett zu Magdeburg gestorben. Am 9. April 1758 Gedächtnispredigt.

 

1759

Philip Niemeier, getauft am 21. November – „Ist im Notfall von der Bademutter getauft und nach 6 Minuten gestorben“.

 

1760

Arend Henrich Hydepohl, „seiner Königlichen Majestät von Preußen wohlbestallter Trompeter“, begraben mit 74 Jahren.

 

1768

Johan Hinrich Hopmann, genannt Halmeis – „Ist auf dem Mindener Wege unter die Pferde gekommen und darauf etliche Stunden hiernach gestorben“ – begraben am 17. Januar 1768.

Tochter Anna Marie Ilsabe – „fiel in den heißen Wurstekessel und starb den anderen Morgen“ – getauft am 25. Oktober 174, begraben am 23. Dezember 1747.

 

1773

Ann Elisabeth Duffert, getauft am 8. September 1715, gestorben am 26. Dezember 1773.

Sohn Peter Hinrich, getauft am 5. Juni 1746 – „uneheliches Kind, welches sie im Dienste bei Herrn Dechant Moll ad St. Martini in Minden erworben, der Vater ist unbekannt geblieben“.

 

1805

Anne Elisabeth Schwarze, geheiratet am 11. April 1754 Johann Herm Schopmeier, Heuerling, gestorben am 13. Juni 1805.

„Die Tradition sagt: Ihr Mann ging nach Ostindien und wurde nach einigen Jahren für tot gehalten. Sie verheiratete sich dazwischen mit Johann Herm Hinrich Südmeier“ (18. Mai 1768).

„Der 1. Mann kam indessen wieder, trat seine Frau seinem Nachfolger freiwillig ab und verehelichte sich mit einer anderen.“

 

Aus: Heinz Riechmann, Die Familien der Kirchengemeinde Hartum 1661 – 1760, Minden 1981