Kongo-Tagebuch: Von Hannover nach Brazzaville
2.September 1974
Mein schwarzafrikanischer Freund
Ich sitze in Lome in Togo an einem Tisch im Warteraum. Das Flugzeug ist eine DC 10 - ein Riesenvogel mit neun Sitzen nebeneinander. Bis
hierher war es schon recht aufregend. Aber der Reihe nach.
Hannover - Gepäckkontrolle, Leibesvisitation - 40 Minuten Flug - Frankfurt.
Gefragt wo es weiter geht - dazu den Kollegen Computer gefragt - Exit A 14 nach Paris. Flugschein abgeben, Bordkarte empfangen, Hinweise in
englischer Sprache. Ich komme mir irgendwie fremdartig vor.
Die Koffer stehen vor der Maschine. Jeder muss seinen Koffer dem Gepäckträger zeigen. Wir nehmen unsere Plätze ein. Ich komme neben einem
Schwarzafrikaner zu sitzen. Der Flug über den Wolken ist faszinierend. Im Osten Frankreichs klart es auf. Die Landschaft sieht sehr kleinteilig aus. Je näher man Paris kommt, desto größer werden
die zusammenhängenden Flächen.
Nach 50 Minuten Flug in Paris gelandet. Ein riesiges Flughafengebäude! Keine Zeit - keine Zeit -
ich muss zu einem anderen Flugplatz, vom Airport ORLY nach CHARLES DE GAULE. Die ersten Verständigungsschwierigkeiten -> Exit D - aber wo
ist mein Koffer? Schließlich ist die Kofferausgabe gefunden. Mein Schwarzafrikaner steht schon dort. Dann wird es wohl richtig sein. Das Förderband bleibt stehen. Aber nur keine Aufregung,
irgendwann läuft es wieder. Als ich schließlich den Koffer habe, eiligst nach Exit D.
Dort findet sich neben verschiedenen anderen Schildern eines, auf dem CHARLES DE GAULE steht. Es wird eine 30-minütige Busfolge angegeben. Dort
findet sich auch mein Nachbar wieder. Ich frage ihn, ob er Deutsch spricht. Er bejaht. Da habe ich ja einen tollen Fang gemacht! Der Herr Kakapopo kommt aus TOGO und studiert in Reutlingen Textilingenieur. Es hat für sein Abitur Deutsch als Fremdsprache gelernt. Togo war mal deutsche Kolonie. Jetzt hat er Heimaturlaub.
Die halbe Stunde Wartezeit geht nicht vorüber. Der Bus kommt - der Fahrer redet viel - ich verstehe nichts – mein Freund redet mit ihm - es
wird palavert.
Also, zum Airport CHARLES DE GAULE sind es 50 Kilometer und das kostet 22 Franc. Wir zahlen. Es ist keine Zeit mehr - in 1 1/2 Stunden geht das
Flugzeug!
Das Gebäude dort ist so etwas wie das Olympiastadion in Berlin, aber viel höher. Mein Kumpel geht fragen, ich besorge einen Gepäckwagen - wir
werfen unsere Gepäckstücke zusammen - die Schalterecke der „Air Afrique“ steht voller schwarzer Menschen. Nach einigem Hin und Her bin ich dran. Ich reiche mein Heft über die Theke. Das
Mädchen tippt auf dem Computer - aber der will nicht - sie schimpft über die Maschine - schließlich druckt das Ding einen Bordausweis mit Namen und Platznummer. Ich bin erleichtert. Es ist 19.15
Uhr. Mein Freund rennt die Treppe rauf und auf ein Förderband - das ist wohl 50 Meter lang - wir kommen auf das Abflugdeck - Kontrolle der Bordausweise - der riesige Vogel steht vor dem Fenster.
Das gäbe eine schöne Aufnahme.
Aber mein Kamerad ist weg - also keine Aufnahme - dunkelhäutiges Personal empfängt mich - die ersten Missverständnisse - ich werde weiter gereicht - was soll ich sagen, ich komme neben meinem Freund zu sitzen.
Paris ist immer eine Reise wert - jetzt aber in Lome.
Zwischenlandung in Lome
Mein Freund ist seit zweieinhalb Jahren in Deutschland und will seine Ausbildung in drei weiteren Jahren abschließen. Dann wird er
Textilingenieur für Baumwollverarbeitung sein. Der Staat Togo bezahlt seine Ausbildung. Dafür wurde mein Freund verpflichtet, zehn Jahre für und in Togo zu arbeiten. Dann kann er hingehen, wohin
er will. Bislang war es so, dass Baumwolle ausgeführt und Textilien eingeführt wurden. Das ist ökologischer Unsinn. Jetzt wird die Baumwolle im Lande zu Stoffen verarbeitet, man kauft nur mehr
die Farben in Deutschland ein. In der Fabrik ist der Meister ein Deutscher. Der ist allerdings schon über sechzig. Ich frage meinen Freund, warum er nicht in Deutschland bleibt. Er erklärt es:
„Schauen Sie mich an. Wenn ich in Deutschland irgendwo anfange, bin ich der letzte in der Hierarchie – hier zuhause bin ich der Erste!“
Die Stipendien des Staates Togo beruhen auf einer Wirtschaftsanalyse. Seine Anforderungen gibt der Staat an die Schulen über eine Liste weiter,
etwa so: „Wir brauchen dieses Jahr fünf Maschineningenieure, acht Landwirtschaftsfachleute, drei Lebensmittelchemiker, zwei Textilingenieure.“ Und so weiter. Ich finde das gut. Dieses Vorgehen
verhindert, dass nicht plötzlich 15 Juristen dastehen, die Radieschen nicht von Zuckerrüben unterscheiden können. Der Staat zahlt die Ausbildung der Leute, die er braucht. Das ist doch gut,
oder?
Wir sind in Lome angekommen. Ich stecke meinem Freund eine Tafel Schokolade zu - er freut sich. Ich hatte ja schon sein Kaugummi gekaut. Ich
vermute, die Transitpassagiere werden getrennt abgefertigt. Aber wer kann schon die Lautsprecheransagen verstehen. Mein Freund sagt mir, ich solle mit ihm kommen.
Während ich eine Treppe emporsteige, gewinne ich den
Eindruck, dass ich vor dem Auspuff der Turbinen stehe. Die Wärme kriecht die Hosenbeine aufwärts, alles ist feucht und stinkt kolossal - etwa nach vergammeltem Seetang. Ich schlendere umher und
gerate durch die Tür TRANSIT.
Diese wird vom Erzengel Gabriel in Gestalt eines gewaltigen Polizisten bewacht. Drinnen ist es kühl und voll mit deutschen Touristen.
Ich sitze an einem Tisch und beginne diesen Text hier zu schreiben. Da erscheint mein Freund und schleppt mich in den Saal nebenan. Er spricht Leute an, um mir Kontakte zu eröffnen. Eine
Schweizer Dame hat wohl verstanden, aber nicht begriffen. Was will der schwarze Mann von ihr?
Das Flugzeug für unseren weiteren Flug ist angekommen. Es geht also weiter. Alle haben eine Transitkarte - nur ich nicht. Man lässt mich auch
ohne rein - unten an der Treppe steht mein Koffer neben zwei Hundezwingern und einem Haufen Pappkartons. Es stinkt immer noch entsetzlich. Ich bin nicht besonders beruhigt - der Koffer eines
Kollegen brauchte fünf Wochen, um bis Brazzaville zu kommen.
Mit einer Stunde Verspätung hebt mein Flieger ab. Auf meiner Uhr ist es 3.20 Uhr. Hier gilt allerdings GMT und nicht MEZ – daher ist es jetzt 2.20 Uhr. Eben Afrika.
Warten auf den Flug nach Pointe-Noir
Der Kugelschreiber schreibt nicht mehr. Ich nehme einen anderen. Der schreibt schwarz. Aber das ist angemessen, denn meine Situation hier im
schwarzen Kontinent ist auch so. Ich bin auf dem Flugplatz in Brazzaville, einem verlassenen Netz.
Die Gesundheitskontrolle und die Passkontrolle gingen einigermaßen glatt - aber der Flug an die „Schwarze Spitze“ (Pointe-Noire) ist die Spitze
des Schwarzen. Die Stewardessen und alle anderen reden nur französisch. Eine Stewardess steckt meinen Fahrschein ein und bedeutet mir, den Koffer zu holen und an der Kontrolle zu
melden.
Mein Koffer werden von einem jungen Mann bewacht. Nur mit viel Aufwand und zehn Franc komme ich zurück in den Besitz meines Koffers. Wie sich
dann herausstellt, stand mein Koffer an der falschen Stelle. Glücklicherweise geht in Afrika nichts verloren und die Rückreisebilletts wurden gleich mit ausgeschrieben. Das braucht aber
Zeit.
Schließlich, als Vorletzter bekomme ich meine Billetts
und einen Gepäckschein. Dann muss ich zur Polizei. Die gibt ihren Segen zum Weiterflug in Gestalt eines Stempels und dann geht es
zum Ausgang. Aber dort werden wir zurückgewiesen. Das
Flugzeug ist voll.
Jetzt sitzen wir hier - etwa fünf Parteien - auf einer Baustelle und warten, bis wieder einmal ein Flug nach Pointe-Noire geht. Wann das sein
wird, weiß keiner. Raus darf hier keiner, vor dem Ausgang steht der Polizist. Hier stinkt es nicht ganz so - aber feucht und muffig ist es auch.
Rückschau. Von 5 Uhr bis 6.45 Uhr stand ich in Libreville in Gabun auf dem Flugplatz herum. Der Airport dort ist nicht groß, aber sauber und
schön. Viele weiße Passagiere stiegen dort aus. Luxuriöse Autos standen zum Abholen bereit. Sogar der Schalter der Hertz-Autovermietung war geöffnet. Ein kräftiger Sprühregen kam herunter. Der
störte die meisten nicht, obgleich sie nichts auf dem Kopf hatten und tropfnass wurden. Mit der flachen Hand wischte sich einer von ihnen das Wasser aus dem Haar.
Der Steward hatte mich ins Flughafengebäude geschickt. Da wollte ich sowieso hin. Aber anschließend ließ mich keiner wieder herein. Eine halbe
Stunde vor Abflug brachte uns ein klappriger Bus zum Flieger. Da lagen die Kameraden auf meiner Bankreihe. Deshalb hatte man mich also rausgeschickt, damit die Landsleute ungeniert schlafen
konnten.
Jetzt hatte ich einem Fensterplatz - ich sah einen
Regenbogen - kreisrund und von oben! Es gab Frühstück. Ein Omelett in Olivenöl gebacken. Zwei Brötchen, drei Scheiben Ananas, Butter, Marmelade, eine Flasche Wasser und Kaffee. Die Butter war ein
wenig befremdlich.
Wir haben 26 Grad Celsius bei bedecktem Himmel. Die ganzen 800 Kilometer von Gabun bis zum Kongo bleibt die Wolkendecke
geschlossen.
Eintreffen in Brazzaville. Der Airport in der Anlage
schäbig und noch alles im Bau. Es herrscht. ein furchtbarer Lärm. Die hohen Glastüren zum Flugfeld schließen nicht richtig. Der eine Flügel überlappt oben und kratzt unten auf dem Fußboden. Dort
hat man auch schon den Beton entsprechend abgekratzt. Irgendwann tönt der Lautsprecher - Leute stehen auf - wir gehen zur Tür. Der Flug nach Point-Noire steht an.
Auf zu neuen Taten! Das bedeutet abermals, stundenlang sitzen.