Wo Moses badete und Christen verfolgt werden
Aus dem Tagebuch von Fritz Bredemeier, Burgdorf (XI):
Wer hier überleben will, muss laut sprechen und arrogant sein.
25. Februar 1962
Für ein anderes Messgebiet müssen die Navigationssender in günstigeren Positionen stationiert werden. Dafür sind die Standorte der Antennen geodätisch einzumessen. Um das zu ermöglichen, benötigt man Fixpunkte der Landesvermessung. Die gilt es zu finden. Von dort aus kann man dann mit geodätischen Methoden die Antennen-Standorte einmessen. Unser Landmesser „Mustafa“ braucht dafür ein Auto - also meines. Zweckmäßigerweise fahre ich gleich mit.
Nach unserer Karte ist der eine Punkt auf einem hundert Meter hohen Berg. Dieser liegt in einem Stromtal, also
einer Gegend, welche bei Regen zu einem reißenden Strom wird. Entsprechend liegt dort viel Schotter herum. Wir fahren zehn Kilometer durch ein Geröll schlimmster Sorte. (Ausländer dürfen nicht
Auto fahren. Es wird schon einiges an Gottvertrauen verlangt, dass das Auto meinen Fahrer überstehen wird. Andererseits ist es nicht hilfreich, den Besserwisser hervorzuholen. Allah wird es schon
richten.)
26. Februar 1962
Nach längeren Formalitäten dürfen wir unseren bisherigen Standort verlassen. Die Straßen, so vorhanden, sind fürchterlich. Dazu kommen die Gefahren der Militärfahrzeuge. Sie fahren in der Mitte der Straße, egal was ihnen entgegenkommt. Der Selbsterhaltungstrieb scheucht die anderen Passanten auf die Straßenseite. Wenn das nicht geht - malish - man hat die stärkeren Autos. Man ist schließlich Militär und hat die Macht!
Das Gelände des Eisenbahn-Verladebahnhofs von Suez steht Land unter.
Nicht unter Wasser, sondern unter Öl. Ein Häuflein Männer ist dabei, mit einer Art Konservendose das Öl abzuschöpfen und Hand über Hand weiterzureichen bis zu einem Lastwagen, auf dem ein Fass steht. Sie sind alle bis in die Haarspitzen Öl getränkt - nur das Weiß der Augen bildeten einen Kontrast - - und die bodenlangen Gewänder tropfen - was habe ich mich aufgeregt!
Der Tankstellenboy wohnt gleich auf der Tankstelle. Hinten im Schuppen hat er einen Blechkanister und eine Wolldecke. Das ist in etwa sein Hausstand. Wenn man in dieser Armut überleben will, ist Ellenbogen alles - daher auch die laute Sprache und die Arroganz!
Auf dem Marktplatz hängt ein Trichterlautsprecher. Über ihn wird stundenlang aus dem Koran vorgelesen. Das stellt sich als ein Singsang mit Pausen dar. Es kann auch mal eine Sängerin folgen, aber die Hauptsache ist Krach. Der Verstärker ist übersteuert!
Die Eisenbahn fährt laut hupend mitten durch die Stadt und die Motoren der Lokomotiven machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Die Autos hupen unablässig - das scheint überlebenswichtig zu sein. Die Fußwege sind schmal und werden meistens von Händlern vollgestellt, so dass die Fußgeher auf die Straße müssen. Eselskarren und Fahrräder vermehren das Gewühl und jeder überholt jeden.
Ich habe Thula das Radio zurückgegeben. Es wollte einfach nicht funktionieren.
Aus dem Tagebuch von Fritz Bredemeier, Burgdorf (XII):
Wo Moses gebadet hat und Christen verfolgt werden.
28. Februar 1962
Im Camp treffe ich Dr. v. Helms. Der will zu Prospekta.
Das Schiff liegt in der „Um el Kiman Bai“. Um dorthin zu kommen, muss man durch Gebirge und Wüste fahren. Nachdem wir lange gefahren sind, wird es dunkel. Das Begleitboot „Mustafa“ holt uns ab. An der Wassergrenze steht ein großer eiserner Kasten. Der Mustafa fährt längsseits. Dann kann man zum Schiff herüberklettern. Ich will auf jeden Fall mit, denn mir ist nach deutschen Gesprächen und deutschem Essen.
So gegen 10 Uhr begeben wir uns auf die Rückfahrt. Der Kasten dient uns als Sichtmarke. Ich stehe ganz vorne am Bug (etwa zwei Meter
hoch).
Mustafa fährt langsam auf den Strand zu - als das Schiff den Grund berührt, gibt er Vollgas zurück und ich falle ins Nichts – nein, in nassen Sand. Glücklicherweise bin ich auf keinen Stein gefallen - es tut nichts weh – aber wo ist das Auto? Nachdem ich es wiedergefunden habe, bekomme ich wieder ein dummes Gefühl - nachts um halb elf in unbekannter Wüste - es darf scharf geschossen werden - ist die Spur, die wir im Moment befahren, noch die richtige, denn es gibt deren viele? - Na ja, ich lebe noch.
3. März 1962
Ich bin an Bord der Prospekta. Das Kabel ist repariert. Auf der Brücke wird die Wassertiefe ständig mit dem Echolot überwacht und mit der Seekarte verglichen. Dazu muss man wissen, wo man sich genau befindet, und dazu ist „LORAC“ ja da. Wir kontrollieren die Ergebnisse ständig durch Peilung mit Entfernungsmessern zu den Seezeichen.
Die Bucht von „El Tor“ ist von Korallen eingeschlossen. Lediglich eine Einfahrt ist offen.
Auf der Korallenbank sitzt seit vier Jahren ein Dampfer - hoch und trocken.
Tausende von Störchen ziehen in langer Linie in einem Meter Höhe über die Wasser von West nach Ost.
4. März 1962
In El Tor. Moses soll hier gebadet haben. Das Becken hat in etwa eine Fläche von fünf mal sechs Meter und ist 1,70 Meter tief, gefüllt mit warmem Wasser. Es sind Wände drum herum und ein Dach drüber. Wir haben nackt darin gebadet - herrlich!
Im Tal gibt es genügend Wasser - die Gärten sind jedoch alle verfallen und verwildert - die Palmen stehen üppig und die Mauern sind teilweise gut erhalten - ein Haus steht da, es ist nicht bewohnt und ich weiß nicht warum.
Christen werden hier verfolgt. Vor zehn Jahren soll es noch Morde des Glaubens wegen gegeben
haben. Viele einfache Leute sollen mit der Regierung nicht einverstanden sein!
Aus dem Tagebuch von Fritz Bredemeier, Burgdorf (XIII):
Im Land der technologisch Unbedarften
5. März 1962
Am Hafen von El Tor hat Prospekta begonnen, das Messkabel zu fieren. Der erste Schuss bringt viele tote Fische an die Oberfläche. Im Umkreis von hundert Meter ist alles voller Fisch. Unsere Jungs fahren mit dem Schlauchboot hin und her und sammeln die Fische ein. Es sind Fischarten darunter, die noch keiner gesehen hat. Aber das Schießen geht weiter.
Dann wird der Seegang so hoch, dass ich mich gegen die Bordwand stemmen muss, um nicht über Bord zu gehen. Eine Reling gibt es nicht. Dann werde ich auch noch seekrank.
Mittags sind wir in Richtung Ras Gharib abgedampft - um sechs Uhr kommen wir dort an.
Unterwegs beginnt die Maschine zu stottern. Etwas scheint an der Brennstoffzufuhr nicht zu stimmen. Die Mannschaft versucht, die Brennstoffpumpe auseinander zu nehmen. Sie keilt einen Schraubenzieher in eine Fuge der Pumpe, gibt dann aber auf und baut alles wieder zusammen.
Wenn einer aus der Mannschaft eine Schraube ein paarmal gedreht hat, nimmt ihm ein zweiter den Schlüssel weg und beginnt zu drehen. Im nächsten Moment kümmern sich beide um eine Leitung. Wenn der eine den Schlüssel in die Hand nimmt, hat der andere gleichfalls seine Finger dazwischen, fast so, als ob er verhindern wolle, dass der erste was tut. Einer der Leute bläst in ein ausgebautes U-förmiges Rohr so ungeschickt hinein, dass ihm der Diesel ins Gesicht spritzt. Das alles wird von einem Stimmaufwand begleitet, als befänden wir uns mitten auf dem Marktplatz. Werkzeuge werden in der Gegend herumgeworfen.
Dass Maschinen in diesem Land nicht lange halten können, ist schon klar. Ich staune eher, dass überhaupt etwas funktioniert.
7. März 1962
Heute war es stürmisch - man traute sich nicht vors Zelt - es war sehr heiß - die meiste Zeit auf dem Bett gelegen und gedöst. Die Fliegen können einem zur Raserei treiben!
10. März 1962
Ali, mein spezieller Freund, kommt mit dem Land Rover voll Wasser und fährt mit dem LKW wieder zurück. Er hat bei uns einen Ausgießer für Kanister gesehen. Daher muss er unbedingt aus unserem Kanister nachtanken, nur um es zu probieren. Damit ist unsere Reserve kleiner geworden.
Wir sind wieder in Richtung Schiff unterwegs und treffen auf eine Gruppe schwarzer Störche. Auf der Rückfahrt vom Schiff mit dem Schlauchboot werden wir ziemlich nass. Die Dusche ist warm, aber der sehr trockene Wind kühlt stark ab.
12. März 1962
Es ist herrliches Wetter. Ich habe Putz- und Flickstunde gemacht, genäht und den einen Campingstuhl repariert. Am Nachmittag fliegen Tausende von Störchen in achtzig bis hundert Meter Höhe nach Nordosten. Wenn sie sich über dem Wasser befinden, gehen sie bis auf einen Meter herunter. Der eine oder andere wird von einer Welle erwischt. Das wars dann. Futter für die Fische.
Ich habe mein Hemd ausgezogen und mir innerhalb einer halben Stunde den Rücken verbrannt, trotz Sonnencreme.
Aus dem Tagebuch von Fritz Bredemeier, Burgdorf (XIV):
Schlechtes Essen, dicke Luft
Das Zusammenleben mit meinem Kollegen wird schwieriger. Das Nörgeln über das Essen etwa, und was mir überhaupt nicht gefällt, ist der Ton über Funk. Sowas wie „Scheiße“ - „Fressen und Saufen“ - „Halt die Fresse du Russe“ - gehört nicht in die Öffentlichkeit über den Sender.
In der Arbeit bleibt vieles liegen, obwohl man die Langeweile damit bekämpfen könnte.
Mein Kollege Willi hat die Küche unserem Gehilfen „Sherif“ übertragen. Das Essen schmeckt ihm besser, wenn es fertig ist, als wenn er es erst selber kochen muss.
Seitdem ist das Essen ein ständiges Ärgernis. Sollten die Ansprüche wirklich so gering
sein? Abends gibt es beispielsweise Spaghetti und ein Stück trocken Brot.
Eines Tages fragte der Sherif - „Mister - was kochen?“ - Es sind keine Lebensmittel im
Haus. Auf die Frage: „Warum hast du denn gestern nichts gesagt?“ kommt die Antwort: „Gestern hatten wir noch.“
Das bedeutet für mich als „Mädchen für alles“ Alarmstart nach Suez und Lebensmittel holen. Das sind mal eben 200 Kilometer
Unter solchen Verhältnissen wird die Haut sehr dünn!
Auch mit unserer Technik läuft es nicht rund. Die Aggregate machen viel Ärger. Die Nächte sind sehr feucht. Dann sind die Dinger nicht in die Gänge zu kriegen. Auch hat es im Sender gebrannt. Für die Reparatur benötigen wir fünf Stunden.
Als ich ins Bett gehen will, springt einer dieser großen hässlichen Käfer heraus. Die können auch fliegen. Ich ekele mich.
Ich habe ihn mit einer ordentlichen Dosis Fliegengift versehen. Am nächsten Morgen kriecht er immer noch im Kreis herum - da hat er mir leidgetan.